1.3 Ausgewählte ökologisch-naturschutzfachliche Aspekte der Oder-Flusslandschaft

Hydrologie

Das Einzugsgebiet der Oder umfaßt insgesamt 118 861 km2 (Ausschuss, 1896). Es verteilt sich auf die Tschechische Republik (6%), die Republik Polen (89%) und die Bundesrepublik Deutschland (5%) (Karte A 2). Die Quelle liegt im Oderské vrchy in Nordmähren auf einer Höhe von 632 m ü.NN.

Gemäß den Darstellungen in der ersten systematischen Abhandlung über die Oder (Ausschuss, 1896) wird die Oder in folgende Abschnitte eingeteilt: Quelloder, Obere Oder, Mittlere Oder und Untere Oder.

Nach neueren Ausarbeitungen der IKSO (IKSO, 1999) wird als Obere Oder der Abschnitt von der Quelle bis zur Mündung der Nysa K³odzka bezeichnet (unterteilt in Ober- und Unterlauf an der Olše-Mündung), als Mittlere Oder gilt der gesamte Abschnitt von der Nysa Klodzka bis zur Warta-Mündung, die Untere Oder entspricht der früheren Festlegung.

Beide Untergliederungen unterscheiden sich damit nicht grundsätzlich. Gemeinsam ist beiden die Differenzierung von Unterabschnitten an der Mündung der Olše-, der Nysa Klodzka und der Warta. Für die weiteren Darstellungen in diesem Atlas ist dies nicht von Bedeutung und deswegen werden die Adjektive obere, mittlere und untere (Oder) nicht als eigene geographische Namen verwendet.

Das Flußgebiet der oberen und mittleren Oder nimmt eine Fläche von 53 536 km2 ein, auf 5/6 seiner heutigen Lauflänge von 855 km. Das Einzugsgebiet des größten Nebenflusses, der Warta (54 529 km2) befindet sich vollständig auf polnischem Gebiet. Das Flußgebiet der unteren Oder umfaßt 10 769 km2 (Dubicki et al., 1999).

Der mittlere Gesamtjahresabfluß am Pegel Hohensaaten-Finow (km 665) beträgt ca. 17 Milliarden Kubikmeter, was einem Mittelwasserabfluss von etwa 540 m3/s entspricht, oder auch knapp 30% des Gebietsniederschlags (Dubicki et al., 1999). Davon sind allerdings nur ca. 320 m3/s aus der Oder bis zur Mündung der Warta. Die Warta trägt bei gleich großem Einzugsgebiet mit 224 m3/s ca. 40% des Gesamtabflusses bei. Der spezifische mittlere Abfluss liegt insgesamt unter 5 l/s und km2.

Nach Angaben des Landesumweltamtes Brandenburg wird für den Pegel Hohensaaten-Finow (letzter, repräsentativer Standort für den Gesamtabfluss, 109 564 km2 Einzugsgebietsfläche) ein Mittelwasserabfluss von 521 m3/s angegeben (Jahresreihe 1921-1996, ohne 1945). Dabei liegt der Wert für das Winterhalbjahr (vom 1. November bis 30. April) bei 608 m3/s, für das Sommerhalbjahr (1. Mai bis 31. Oktober) bei 435 m3/s. Eine ähnliche Charakteristik gilt auch für den Pegel Eisenhüttenstadt (km 554, 52 033 km2 Einzugsgebietsfläche) mit Werten von 304 m3/s als Jahresmittelwasserabfluss bzw. entsprechend 348 und 260 m3/s für das Winter- und Sommerhalbjahr. Der spezifische mittlere Abfluss liegt für den Pegel Eisenhüttenstadt etwas höher bei 5,8 l/s und km2.

Obwohl sich die Werte für den Mittelwasserabfluss von der tschechisch-polnischen Grenze (nach der Einmündung der Olše etwa 55 m3/s, bei KoŸle etwa 80 m3/s und nach der Einmündung der Widawa etwa 170 m3/s) deutlich und kontinuierlich erhöhen, unterscheiden sich die höchsten Hochwasserabflüsse deutlich weniger, zum Teil können sogar höhere Abflussspitzenwerte, aber bei deutlich steileren und kürzeren Wellen, in den oberen Oderabschnitten auftreten.

Klimatisch wird das Odereinzugsgebiet als Übergangsgebiet zwischen atlantischem und kontinentalem Klima bezeichnet. Die Winter können sehr kalt sein. Eiserscheinungen auf der Oder sind bedeutend häufiger als an der Elbe. Für die untere Oder wurden am Pegel Hohensaaten-Finow (Zeitreihe 1901 bis 1990) durchschnittlich 44 Tage pro Jahr mit Eiserscheinungen registriert, davon 30 Tage mit Eisstand.

Der Größte Teil des Einzugsgebietes weist Niederschlagssummen zwischen 500 und 600 mm auf, in den Kammlagen der Mittelgebirge liegen die mittleren Niederschlagssummen bei 1000 bis 1300 mm. Der niederschlagsreichste Monat ist der Juli, der niederschlagsärmste ist der Februar.

Hochwasser sind an der Unteren Oder im Frühjahr vorherrschend, oft mit Eisgang verbunden oder auch mit durch Windrückstau verhindertem Abfließen in das Stettiner Haff. An der mittleren und oberen Oder sind neben einigen durch Schneeschmelze verstärkten Hochwassern im März, vor allem Hochwasser in den Sommermonaten zu erwarten, zum Teil auch lang anhaltend an der Mittleren Oder. Am Pegel Bohumín ist hervorzuheben, dass in der Regel die Sommerhochwasserwerte deutlich (im Durchschnitt mehr als doppelt so hoch) über den Winterhochwasserwerten liegen. Die durchschnittliche Laufzeit der Hochwasserwellen beträgt ab Miedonia (km 55,5) bis zum deutsch-polnischen Grenzoderabschnitt 7 bis 10 Tage, bis zum Unterlauf bei Schwedt (km 695) weitere 2 Tage.

Nebenbei ist anzumerken, daß kontinuierliche Aufzeichnungen und eine Auswertung hydrologischer Beobachtungen erst Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzten.

Die Sommerhochwasser werden durch ergiebige Niederschläge in den Mittelgebirgen ausgelöst. Derartige Starkregenereignisse sind in den letzten 110 Jahren mehrfach beobachtet worden (IKSO, 1999). Das Hochwasser im Juli und August 1997 war das größte Ereignis im 20. Jahrhundert (Grunewald et al., 1998). Die Niederschlagshöhe in den Moravskoslezské Beskydy erreichte dabei bis über 500 mm in 3 Tagen.

Zur Einschätzung der Auswirkungen des Wasserregimes auf die Ausprägung des Fluss-Auen-Ökosystems können noch folgende Charakteristika aufgezeichnet werden.

In der Abbildung 1 über hydrologische Hauptwerte für den Pegel Eisenhüttenstadt (1921-1996) wird deutlich, dass die höchsten Abflüsse für mittleres Niedrigwasser, Mittelwasser und mittleres Hochwasser regelmäßig im ausgehenden Winter oder zeitigen Frühjahr auftreten, was mit Ausnahme der hochliegenden Abschnitte am Oberlauf für die meisten Oderabschnitte charakteristisch ist. Die Schwankungsbreite der Abflüsse insgesamt ist sehr hoch und v.a. in der besonderen Lage (Niederschlagsphänomene) und der Charakteristik des südlichen Odereinzugsgebiets (Nebenflüsse aus hohen Lagen mit kurzer Lauflänge) zu erklären.

Für größere Abschnitte der Oder, v.a. im mittleren Bereich, gilt, dass bei mittlerem Hochwasser erst Teile der Auen überflutet werden, und dies langfristig betrachtet am häufigsten vor Beginn der Vegetationsperiode im März. Hochwassereignisse, die den größten Teil der Aue überfluten, treten nicht jedes Jahr auf und dauern, mit Ausnahme des extremsten Hochwasserereignisses im Sommer 1997 nur wenige Tage bis zu zwei Wochen unterhalb der Warta-Mündung. Gleichwohl haben diese überjährlichen Ereignisse in der Vegetationsperiode signifikanten Einfluss auf die langfristige Entwicklung, da sie auf standortsfremde Lebensgemeinschaften noch selektiv wirken.

Für die Linie der höchsten gemessenen Hochwasserwerte fällt auf, dass keine deutliche Jahresverteilung erkennbar wird, bei der Betrachtung kürzerer Zeiträume (z.B. 1981-96) sind jedoch deutliche Maxima im Februar/ März und in den Sommermonaten Juli und August erkennbar. Die Häufigkeit dieser extremen Hochwasserereignisse ist sehr gering, oberhalb von Eisenhüttenstadt überwiegen dabei die Sommerhochwasserereignisse gegenüber den Winterereignissen, diese Tendenz verstärkt sich Richtung Sommer je weiter südlich ein Oderabschnitt betrachtet wird. In den letzten 50 Jahren ist am Pegel Eisenhüttenstadt ein Winterereignis mit einem Wiederkehrintervall von mehr als 5 Jahren zuletzt 1947 beobachtet worden (IKSO, 1999).

Über den Sedimenthaushalt sind nur wenig zuverlässige Angaben zu finden. Für die untere Oder im Bereich Hohensaaten wird die Geschiebefracht mit ca. 200 000 t und die Schwebstofffracht mit etwa 400 000 bis 500 000 t pro Jahr angegeben (Schmidt, 1998; IKSO, 1999), wobei betont wird, dass die Messungen erst über einen relativ kurzen Zeitraum systematisch durchgeführt wurden. Für die Oder ist charakteristisch, dass die Schwebstofffracht ganz stark von der Fließgeschwindigkeit abhängt, d.h. bei höheren Fließgeschwindigkeiten wird ein zunehmender Anteil des Geschiebes als Schwebstoff transportiert. Das Geschiebe wird allgemein in der gesamten mittleren und unteren Oder von Feinsanden geprägt, teilweise fast eine Größenordnung feiner als an der Elbe.

Flussmorphologie

Die Oder fließt mit Ausnahme des obersten ca. 50 km langen Abschnittes unterhalb der Quelle in einem meist mehrere Kilometer breiten Tal. Diese breiten Talebenen der Oder sind eiszeitlichen Ursprungs, meist sogar von zwei oder mehreren Vereisungsphasen geformt.

Das ziemlich gestreckte, in nordöstlicher Richtung verlaufende Tal mündet im Raum nördlich von Ostrava in ein großes Becken, aus dem es in nordwestliche Richtung abschwenkt. Bis zu diesem Richtungswechsel hat die Oder drei etwa gleich große, ebenbürtige Nebenflüsse mit deutlichem Mittelgebirgscharakter aufgenommen. Auf dem weiteren, ebenso gestreckten Talweg mündet, nachdem es einen Engstellenbereich durch das zum letzten Mal aufsteigende Grundgebirge im Raum Krapkowice gequert hat, der größte und wichtigste Nebenfluss im oberen Teil der Oder, die Nysa Klodzka. Im Bereich Wroc³aw tritt das Odertal in das erste von vier großen, ost-westlich verlaufenden Urstromtälern ein. Das erste, südlichste, wird als das Breslau-Magdeburger Urstromtal bezeichnet. Dem folgt das heutige Odertal auf einem begrenzten Abschnitt nach Westen, um dann in einer Durchbruchstrecke in das nächste, weiter nördlich anschließende Urstromtal (Glogau-Baruther Urstromtal) überzuwechseln. In einem ähnlichen Rhythmus folgen das Warschau-Berliner und das Thorn-Eberswalder Urstromtal, jeweils mit Durchbruchstrecken in den Übergängen. Alle Urstromtäler zeichnen sich durch besonders geringes Längsgefälle und zum Teil extrem breite und flache Talböden aus, die wiederum überwiegend von Sanden geprägt sind. Die Durchbruchstrecken haben demgegenüber ein deutlich höheres Talgefälle. Auch wenn der Talabschnitt südlich der großen Urstromtäler teilweise ebenso breit aussieht wie die Durchbruchstrecken, so sind doch deutliche Unterschiede in den Sedimenten zu beobachten, da die dynamischen Nebenflüsse aus den Mittelgebirgen gröbere Sedimente in das Odertal eintragen oder zumindest eingetragen haben.

Schon mit dieser kurzen Beschreibung des gesamten Talverlaufs wird deutlich, dass das Odertal keineswegs immer die gleichen flußmorphologischen Eigenschaften aufweist und auch nicht aufgewiesen hat. Die flußmorphologischen Prozesse bestimmen aber, neben dem Wasser- und Sedimenthaushalt sowie den biologisch-chemischen Prozessen, die Ausbildung der unterschiedlichen Formenelemente eines Fluss-Auen-Ökosystems und damit auch der entsprechenden Lebensgemeinschaften.

Da die heutigen Verhältnisse ein Ergebnis jahrhundertelanger Eingriffe in das Flusssystem sind, die zu erheblichen Veränderungen der natürlichen Prozesse geführt haben, ist zur Herleitung der natürlichen flußmorphologischen Eigenschaften eines Flusses die Analyse von historischen Kartenwerken unverzichtbar. Eine derartige Analyse muß aber auch zahlreiche andere Parameter, wie z.B. Geologie, Talgefälle, Sedimentzusammensetzung,hydrologische Kenn- größen etc. berücksichtigen. Mapa 2
Przemieszczanie siê meandrów w CHKO Poodri

Zu den Kartenwerken ist einschränkend anzumerken, dass sie den ursprünglichen Zustand vor Beginn der Besiedlung und der flächenhaften Rodung der Wälder nicht mehr aufzeigen können. Im Prinzip sind uns heute nur die Zeugnisse aus der Zeit der beginnenden Flussregelung bekannt, nachdem auch schon die meisten Auenflächen einer landwirtschaftlichen Nutzung zugeführt wurden und viele Siedlungen an der Oder lokale Eingriffe in das Flussbett mit Auswirkungen auf die morphologische Entwicklung der Oder bereits durchgeführt hatten. Die wesentlichste Veränderung fand sicher mit der Bildung der mächtigen Auenlehmdecken statt, die sich durch Ablagerung der aus dem Einzugsgebiet flächenhaft abgeschwemmten, bindigen Feinsedimente aus den Waldrodungsgebieten bildeten. Dieser Prozess war anfangs sicher am stärksten im oberen Teil der Oder, stromaufwärts von Wroc³aw, wirksam, im Bereich der zahlreichen dynamischen Nebenflüsse aus den Mittelgebirgen, jedoch weniger in den weiter stromab anschließenden Flußabschnitten in den Urstromtälern. Inwieweit diese Auenlehmbildung die ursprünglichen Verhältnisse und Prozesse verändert hat, könnte zwar teilweise theoretisch nachvollzogen werden. Da dies aber als irreversibel einzustufen ist, ist es für weitere Betrachtungen ohne Bedeutung.

Gemäß diesen Grundlagen kann für die Oder auch schon in den ältesten historischen Karten ein überwiegend gewundener bis mäandrierender Flusslauf in fast allen breiten Talabschnitten festgestellt werden. Vor den Begradigungen waren diese Mäandrierungen besonders ausgeprägt in folgenden Oderabschnitten: Im ganzen tschechischen Abschnitt, weiter bis nach Wroc³aw (ausgenommen dem kurzen Engstellenbereich bei Krapkowice), in der ersten Durchbruchstrecke bei Œcinawa, in der zweiten Durchbruchstrecke bei Nowa Sól, von der Mündung des Obra-Kanals bis fast zur Bóbr-Mündung und eher lokal oberhalb der Lausitzer Neiße-Mündung. Als Sonderfälle sind die lokal stark ausgeprägten Mäandrierungen auf dem Abschnitt zwischen Hohensaaten und Szczecin einzuschätzen. Als mäandrierend wird ein Flusslauf eingestuft, wenn die Lauflänge um mehr als 50% die Tal länge übertrifft (DVWK, 1997). Mit Ausnahme der Durchbruchstrecken fällt auf, dass die Oder in ihrem Verlauf selten den ganzen Talboden mit ihren Mäanderbewegungen erfasst hat.

Heute sind von dem natürlichen Charakter nur noch Reste geblieben. Aufgrund der zahllosen Mäanderdurchstiche und Begradigungen sind mehr als 20% der ursprünglichen Lauflänge verschwunden, lokal sogar mehr als 30%, insbesondere zwischen Ostrava und Krapkovice, oberhalb von Wroclaw und in den o.g. Durchbruchstrecken. In den flachen, nur schwach geneigten Urstromtalabschnitten betrugen die Verkürzungen oft nur 10%, da dort die Oder nur einen gewundenen (Verhältnis Flusslauflänge zu Tallänge zwischen 1,25 bis 1,5) bis gestreckten Verlauf (Verhältnis kleiner als 1,25) aufgewiesen hat. Heute kann die gesamte Oderstrecke von Ostrava bis Szczecin nur noch als gestreckter, teilweise als gewundener Flusslauf angesprochen werden.

Das Fließgefälle gilt heute trotz der vielen Durchstiche gerade in den steileren Durchbruchstrecken aufgrund der mehrfachen Nachregelungen wieder als ziemlich ausgeglichen. Von Ostrava bis etwas unterhalb der Wartamündung (die Staustufenstrecke eingerechnet) beträgt es durchschnittlich 27 cm/km (IKSO, 1999), unterhalb von Schwedt liegt es unter 5 cm/km. Nur süd- lich von Ostrava erreicht das Gefälle bis zu 80 cm/km, wo die Oder erstmals in den breiten Talboden eintritt.

Rys.1: Przyp³ywy g³ówne Odry na wodowskazie Eisenhuttenstadt (km 554) dla okresu wieloletniego od 1921 do 1996

Dieser letztgenannte südliche Abschnitt ist der einzig verbliebene Oderabschnitt, der immer noch als mäandrierend bezeichnet werden kann (integriert in das CHKO Poodøí). Diese Kategorie gilt nicht nur hinsichtlich dem Verhältnis der Lauflängen von Fluss zu Tal, sondern auch hinsichtlich der tatsächlichen Bewegungsfreiheit des Flussbetts. In der Karte A 3 wird deutlich, welche Veränderungen durch flussmorphologische Prozesse unter natürlichen oder zumindest naturnahen Verhältnissen in wenigen Jahrzehnten (1949 bis 1987) eintreten können. Auch andere wichtige Faktoren wie der Wasserhaushalt (u.a. typische Abfluss- und Wasserstandsdynamik, Überflutung der Auen) oder der Feststoffhaushalt (typischer Transport von Sedimenten) sind noch wenig gestört.

An diesem Beispiel kann detaillierter aufgezeigt werden, welche zahlreichen, unterschiedlichen Formenelemente durch derartige Prozesse geschaffen werden:

Bei diesen Mäanderbewegungen werden unter natürlichen Verhältnissen auch Waldbestände erfasst. Dazu ist festzuhalten, dass in den Flussauen der Oder Waldgesellschaften den mit Abstand dominierenden Vegetationstyp darstellen würden, wenn sich die Vegetation ohne anthropogene Eingriffe entwickeln könnte (potentiell natürliche Vegetation; Matuszkiewicz et al., 1995).

Die durch Erosion in das Flussbett eingetragenen Bäume erhöhen nicht nur die Strukturvielfalt sondern bieten über lange Zeit eine für manche Arten unverzichtbare Lebensgrundlage. Dieser Prozess des Vergehens ist aber letztlich nur der Anfang der ständig wiederkehrenden Entwicklung hin zu neuen Gehölzgesellschaften, die in Abhängigkeit von den Überflutungsbedingungen (u.a. Dauer, Höhe, Saisonalität) und anderen Faktoren unterschiedlich ausgebildet sind.

Eine Nutzung dieser Flächen, d.h. Waldwirtschaft oder Grünlandwirtschaft, muss bei entsprechender Anpassung nicht grundsätzlich zu einer erheblichen Beeinträchtigung dieser Prozesse führen.

Flussabwärts von diesem flussmorphologisch noch weitgehend intakten Abschnitt sind meist nur noch Fragmente dieser morphologisch, durch das strömende Wasser geprägten Formenelemente vorzufinden. Der entscheidendste und langfristig bedeutendste Grund liegt in der durchgängig behinderten Flussbettverlagerung, in gestauten und ungestauten Strecken. Die Neubildung von Altarmen oder Altwassern ist nicht mehr möglich. Einzige Ausnahme war auch hier der Durchbruch eines Mäanders in der polnisch-tschechischen Grenzstrecke bei dem extremen Sommerhochwasser 1997, innerhalb einer mit Uferbefestigungen gesicherten Strecke. Die sonst vorhandenen Altarme und Altwasser sind meist Reste der früheren Begradigungen und unterliegen je nach Struktur und Überflutungsverhältnissen (wasser- oder landseits eines Hochwasserdeiches) einer langsameren oder schnelleren Verlandung und Alterung.

Diese morphologischen Prozesse wären natürlicherweise in den eher gestreckten bis gewundenen Urstromtalabschnitten und im ganzen Oderabschnitt unterhalb der Lausitzer Neiße-Einmündung weniger von großen Mäanderausbildungen und -verlagerungen geprägt, sondern eher von Insel- und Seitenarmbildungen, begleitet von sehr dynamischen Bettbildungsprozessen (s. auch Praca zbiorowa, 1972). In den sehr breiten Talböden durchflossen Nebenflüsse oft viele Kilometer parallel zum Oderhauptbett die teilweise sehr tief liegenden Randsenken und bildeten dort ihre eigenen, kleineren flussmorphologischen Strukturen. Der daraus resultierende Formenschatz hat jedoch eine grundsätzlich ähnliche, nur in sich unterschiedlich gewichtete Biotoppalette zur Folge. Die vorhandene durchgehende Buhnenregelung schränkt auch dort die entsprechende Neubildung ein.

Nicht unerwähnt bleiben sollten hier die unkalkulierbaren morphologischen Auswirkungen von Eisversetzungen, die zu spontanen Flussbettverlagerungen geführt haben können. Gerade die unsteten Übergänge von breiten Urstromtälern zu engeren Durchbruchstrecken waren davon betroffen. Seit der durchgehenden Buhnenregelung ist auch dies weitgehend ausgeschlossen.

Mit dem Bau von Deichen wurde auf großen Flächen die Überflutung verhindert. Die Folge sind kürzere Hochwasserwellen und erhöhte Überflutungswasserstände in der verbliebenen Aue. Die dadurch erzeugte höhere Dynamik wirkt sich oft negativ auf die Flussbett- und Uferstrukturen aus, da das Flussbett, wie o. a., meist festgelegt ist. Des weiteren konzentriert sich die Ablagerung von Feststoffen auf den verbliebenen Auenbereich bis zu den Deichen und kann zu einer nennenswerten Aufhöhung der Vorländer führen. Dabei können in den mit Buhnen festgelegten Flussabschnitten noch sekundär kleine Uferabbrüche oder dynamisch sich verändernde Sedimentablagerungen in den Buhnenfeldern auftreten. Letzteres ist vor allem in den unteren Abschnitten der Oder noch zu beobachten, wo das feinsandige Sediment kaum stabil abgelagert wird.

Wassergüte

Zum Zustand der Wassergüte folgen hier absichtlich nur grundsätzliche und für den Gesamtzusammenhang unverzichtbare Darstellungen. Für detailliertere Informationen kann auf einen relativ aktuellen, zusammenfassenden Bericht der Internationalen Kommission zum Schutz der Oder (IKSO) verwiesen werden (Dubicki et al., 1999).

In der Tschechischen Republik werden 5 Klassen (ÈSN 75 7221, 1989), in Polen 3 Klassen und eine Kategorie von übermäßig verschmutztem Wasser (Rozporz¹dzenie, 1991), in Deutschland 4 Hauptklassen und 3 Übergangsklassen (LAWA, 1996) für die Bewertung der Wassergüte angewendet. Wegen der unterschiedlichen Klassifizierung wurde bis heute (September 2000) keine einheitliche Wassergütebewertung für die gesamte Oder durchgeführt. Auch für den Bereich der polnisch-deutschen Grenzstrecke wird von der Deutsch-Polnischen Grenzgewässerkommission (1999) keine einheitliche Klassifizierung angestrebt.

Im tschechischen Teil des Einzugsgebiets der Oder (d.h. das Gebiet der Lužická Nisa in CZ wird hier nicht betrachtet) betrug die gesamte Menge der in Oberflächengewässer eingeleiteten Abwässer im Jahre 1998 etwa 225,2 Mio. m3, davon entfielen 88% auf geklärte Abwässer. Im Jahr 1998 (Povodí Odry, 1999) entsprach der gesamte untersuchte tschechische Oderabschnitt entsprechend den Kriterien für das Sauerstoffregime (Gruppe A) der Wassergüteklasse III (verunreinigtes Wasser). Nach den Kriterien der Gruppe B (einbezogen werden neben anderen Parametern auch NH4-N, NO3-N und ges. P) lag der südlichste Abschnitt in der III. Klasse, ab Fluss-km 57 bis Bohumín in der V. Klasse (sehr stark verunreinigtes Wasser). Nach den Kriterien der Gruppe C (einbezogen werden neben anderen Parametern auch Chloride und Sulphate) war die Oder bis Ostrava der I. Klasse (sehr sauberes Wasser) zuzuordnen, von Ostrava bis Bohumín der II. Klasse (sauberes Wasser). Die Konzentration von Schwermetallen im südlichen und mittleren Abschnitt bis Ostrava entsprach der III. Klasse, stromabwärts von Ostrava der IV. Klasse (stark verunreinigtes Wasser). Sauberes Wasser (II. Klasse) gab es nur in den stromaufwärts liegenden Abschnitten der Oder und ihren Zuflüssen.

In den letzten Jahren (1993 - 1998) zeigte sich eine Tendenz zur Verbesserung der Oberflächenwassergüte, vor allem in Bezug auf Sauerstoffversorgung und Salzkonzentration, in der nördlichen Strecke zwischen Ostrava und Bohumín.

Im polnischen Teil des Einzugsgebiets wurden aus punktuellen Quellen 1061,4 Mio. m3 Abwässer pro Jahr eingeleitet, davon waren 85,9% geklärte Abwässer. Die Bewertung des Wassergütezustands im Jahre 1998 gliedert sich wie folgt: Hinsichtlich Konzentration von ge-löstem Sauerstoff wird der Oderabschnitt Cha³upki - Szczecin der I. Klasse (Wasser ist geeignet für Trinkwasseraufbereitung und zum Leben von lachsartigen Fischarten) zugeordnet.

Bezogen auf die BSB5-Werte werden im Grenzprofil Cha³upki (poln. km 20) die Grenzwerte der II. Klasse (Wasser ist für Erholung, Industrie und Leben von karpfenartigen Fischarten geeignet) nicht überschritten. Stromabwärts der Psina-Mündung (km 41,3) verschlechtern sich die BSB5 -Werte vorübergehend auf 14 Kilometern in die III. Klasse (Wasser für industrielle und Bewässerungszwecke geeignet). Zwischen dem Kana³ Gliwicki (km 98,1) und Po³êcko (km 530) entsprechen diese Werte der II. Klasse, von Widuchowa (km 703) bis Szczecin erneut der III. Klasse.

Nach den Versalzungsparametern liegt die Strecke zwischen Widuchowa und Szczecin in der I. Klasse. Die gesamte mittlere Oder liegt in der II. Klasse, hat aber stark versalzte Abschnitte (III. Klasse, übermäßig versalzen) in den Mündungsbereichen der Zuflüsse aus den Minen von Górny Œl¹sk.

Die Konzentrationen von biogenen Elementen (Stickstoffformen, gelöste Phosphate, gesamter Phosphor) zeigen, dass übermäßig verschmutztes Wasser in drei Abschnitten vorkommt. Die Konzentrationen von Nährstoffen überschritten die Grenzwerte der III. Klasse zwischen Cha³upki und Smortawa-Mündung (km 223,8), von Wroc³aw bis Brzeg Dolny (km 285) und im Bereich von der Warte-Mündung (km 617,6) bis Szczecin (gesamte Länge 370 km). Zur III. Klasse gehören die Abschnitte von der Smortawa-Mündung bis Wroc³aw, von Brzeg Dolny bis G³ogów (km 395) und von Frankfurt/Oder (km 585) bis zur Warte-Mündung insgesamt 171 km. Auf ca. 200 km von G³ogów bis Frankfurt/Oder entsprechen sie der II. Klasse.

Die Konzentrationen der Schwermetalle in Cha³upki haben sporadisch die Grenze der III. Klasse überschritten. Stromabwärts von Raciborz (km 50) liegen diese stets in der I. oder II. Klasse.

Im deutschen Teil des Einzugsgebiets beträgt die gesamte Menge der eingeleiteten Abwässer 80,9 Mio. m3 pro Jahr (Dubicki et al., 1999). Die Beschreibung der Wasserbeschaffenheit der Oder bezieht sich auf die gemeinsame deutsch-polnische Grenzstrecke zwischen Ratzdorf (km 542) und Widuchowa (km 703) und auf die Westoder (D). Die Konzentration des gelösten Sauerstoffs ist überall hoch, es kam zu keinen nennenswerten kritischen Situationen im Jahr 1998 (Deutsch-Polnische Grenzgewässerkommission, 1999).

Die Versalzung ist durch eine stetige Abnahme in der Grenzstrecke gekennzeichnet. Lokale Erhöhungen sind auf die Zuflüsse (Lausitzer Neiße und Warta) zurückzuführen. Die Konzentrationen von Ammonium-Stickstoff sind im südlichen Teil der Grenzstrecke bis S³ubice (km 585) am polnischen Ufer höher als am deutschen Ufer. Stromabwärts der Warta-Mündung sind die Werte ausgeglichen. Die Konzentrationen des gesamten Phosphors sind insgesamt gleichwertig, auf beiden Ufern aber stets unterschiedlich. Insgesamt kann die Strecke als "von Nährstoffen belastet" bezeichnet werden.

Biogeographische und geobotanische Aspekte

Flusstäler spielen im allgemeinen eine große Rolle als Biokorridore, in denen Organismen wandern und somit zum genetischen Austausch zwischen verschiedenen Naturräumen beitragen können. Innerhalb der Flusstäler kommt dabei den Flüssen und ihren Auen eine besondere Bedeutung zu. Diese hängt einerseits mit der hohen Vielfalt an unterschiedlichsten Lebensräumen (offene Kies-, Sand- und Schlammbänke, Steilwände, hochwüchsige Wälder, Gebüsche, Röhrichte, Hochstaudenfluren etc.) auf engstem Raum zusammen, andererseits mit dem Medium Wasser, das als Transportmittel Verbreitungseinheiten von Pflanzen (Diasporen) wie Samen, Früchte, unterirdische Sprosse etc., aber auch kleinere Tiere, die auf Treibholz sitzen, flussabwärts verfrachtet. Die Diasporen wie auch die transportierten Kleintiere finden in dem vielfältigen Standortmosaik der Auen, insbesondere auf den konkurrenzarmen Pionierstandorten, geeignete Ansiedlungsmöglichkeiten; von dort aus kann dann die Ausbreitung in die angrenzende Kulturlandschaft erfolgen.

Sind solche Flusskorridore in Mitteleuropa mehr oder weniger in Nord-Süd-Richtung orientiert, so erfüllen sie darüberhinaus eine wichtige Funktion als Einwanderungsweg für süd-östlich und südlich verbreitete Arten, also für pannonische, (sub-)pontische und (sub-)mediterrane Geoelemente. Dieses Phänomen ist auch an der Oder ausgeprägt, wenngleich nicht in dem Maße wie an der Elbe oder am Rhein. Das ist erstaunlich, denn zumindest die Wanderung der pontisch-pannonischen und ostmediterranen Arten zur Elbe und Oder hin dürfte überwiegend aus der ungarischen Tiefebene bzw. aus dem Wiener Becken über das March-Tal erfolgt sein. Von hier aus müßte die Überwindung der Mährischen Pforte ins Oder-Tal leichter zu vollziehen gewesen sein als die Überquerung der Böhmisch-Mährischen Höhe ins innerböhmische Becken, das von der Elbe entwässert wird. Zudem dürften nicht wenige (sub-)pontische Arten den Weg aus den Waldsteppen und Steppen im Gebiet der heutigen Ukraine ins Odertal entlang des Außenbogens der Karpaten gefunden haben. Dennoch ist das Elbtal reicher an solchen Arten. Fot. 3: G. Bobrowicz
Nanosy piasku po przerwaniu wa³u w okolicy Domaszkowa, sierpieñ 1997

Unter den Pflanzenarten der Oderniederung, für die diese Charakterisierung als pontisch-pannonische bzw. submediterrane Geoelemente zutrifft, finden sich solche, die als Stromtalpflanzen bezeichnet werden und nahezu ausschließlich in den großen Flusstälern Mittel- und Osteuropas vorkommen. Meistens wachsen sie in Säumen, Hochstaudenfluren oder Wiesen. Zu nennen wären hier etwa die Glanzwolfsmilch (Euphorbia lucida), die an der Oder auftritt, an der Elbe aber fehlt, die Sumpfwolfsmilch (Euphorbia palustris), die Brenndolde (Cnidium dubium), der Andorn-Löwenschwanz (Leonurus marrubiastrum), die Polei-Minze (Mentha pulegium), das Spieß-Helmkraut (Scutellaria hastifolia), die Österreichische Sumpfkresse (Rorippa austriaca) und der Hühnerbiß (Cucubalus baccifer). Der Hirschsprung (Corrigiola litoralis) und das Tataren-Leimkraut (Silene tatarica), die auf Sandbänken und sandigen Ufern der Flüsse vorkommen, zeigen dagegen bereits die standörtliche Nähe zu den Sand- und Trockenrasen an, die zwar auch auf flussnahen Dünen und sandigen Rücken des Überschwemmungsgebietes, überwiegend aber am Rand der morphologischen Aue (Hochufer) oder sogar am Rand des Flusstales zu finden sind; Beispiele für die recht zahlreiche Artengruppe der letztgenannten Gesellschaften wären etwa das Flachblättrige Mannstreu (Eryngium planum) und das Adonis-Röschen (Adonis vernalis), das an der Oder wie übrigens auch an der Weichsel bis fast ins Mündungsgebiet nach Norden vorstößt.

Durchgängigkeit

Ein nicht unwesentlicher Aspekt bei der Betrachtung der Funktionsfähigkeit eines Biokorridors ist die Durchgängigkeit des Flußbettes selbst. Zahlreiche Staustufen und Wehre vor allem im Oberlauf der Oder stellen eine wesentliche Beeinträchtigung des Flusskontinuums dar. Dies gilt für alle Verbreitungseinheiten einer Flussaue (s.o.). Beispielhaft wird hier zu den Wanderfischen noch näheres erläutert.

Das Vorkommen von atlantischen, anadromen Fischarten - Stör (Acipenser sturio), Lachs (Salmo salar) und Meerforelle (Salmo trutta trutta) - ist auch für die Oder nachgewiesen. Die Fische wanderten früher sogar bis in den tschechischen Teil des Odereinzugsgebietes Nachweis bei Bohumín, tschech. Oder-km 4) (Heinrich, 1856). Seit dem Ausbau mit Staustufen und infolge der starken Verschmutzung des Flusswassers sind diese Wanderungen jedoch stark eingeschränkt, am Oberlauf sogar ganz ausgeblieben. Heutzutage wandern die Lachse und Meerforellen nur bis zur Wartamündung (km 617,6) und von dort in das Noteç-Einzugsgebiet (Blachuta et Kusznierz, 1995). Der Stör ist in der Oder sehr wahrscheinlich ausgestorben. Trotz allmählicher Verbesserung der Wassergüte stellen die Staustufen und Wehre stromaufwärts von Oder-km 285 (Staustufe Brzeg Dolny) unüberwindbare Hindernisse für die Wanderfische dar. Die Staustufe in Brzeg Dolny unterbricht auch die Migrationen der baltischen Populationen der Zährte (Vimba vimba). Die fast erloschenen Populationen der Zährte im tschechischen Odereinzugsgebiet (Odra und Opava) zeigten jedoch nie ein ausgeprägtes Wanderverhalten.

Aus ichthyologischer Sicht gehört der untersuchte Abschnitt der Oder in der Tschechischen Republik zur Forellen-, Äschen- und Barben-Region, in Polen und Deutschland zur Barben- und Brachsen-Region.

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