11. Empfehlungen für Raumordnung und sonstige Entwicklungspläne

Für die Erhaltung des bestehenden Zustandes ist zuallererst die Ausweisung und gesetzliche Sicherung der Überschwemmungsgebiete als eine der grundlegendsten Voraussetzungen anzusehen. Diese Notwendigkeit ist primär nur für Polen maßgebend (wegen der fehlenden gesetzlichen Festlegung, s. Kap. 9), doch betrifft es mehr als 80% der rezenten Aue im Odertal bzw. indirekt über 70% des natürlichen Überflutungsraumes. Auch die relativ selbständigen, kommunalen Verwaltungen in Polen haben derzeit nur begrenzten Einfluss auf die Landnutzung und bauliche Entwicklung in von Überflutung gefährdeten Gebieten.

Darüber hinaus sollte ähnlich wie in vielen Ländern Westeuropas eine Risikoanalyse für den gesamten natürlichen Überflutungsraum erarbeitet werden, die als maßgebende Grundlage in alle Belange der Raumordnung eingebunden werden sollte. Darüber hinaus sollten auch alle hochwasserbeeinflussenden Raumentwicklungen im gesamten Einzugsgebiet Berücksichtigung finden. Dies würde eine nachhaltige Entwicklung des Raumes wesentlich erleichtern, nicht nur aus Sicht der Ökologie oder des Naturschutzes. Fot. 20: M. Raudensky
Oder - Flut in Bohumín, lipiec 1997

Wie aus den in Kapiteln 7, 8 und 10.1 hervorgeht, ist aus naturschutzfachlich-ökologischer Sicht festzustellen, dass erstaunlich umfangreiche, wertvolle Auenwälder noch vorhanden sind. Auch wenn diese häufig auf einen schmalen Streifen entlang der Oder konzentriert sind, so geben sie doch fast ein geschlossenes Band wieder und unterstützen somit wesentliche Funktionen eines Biokorridors. Fast alle kartierten Weichholz- (01) und Hartholzauenwälder (02) entlang der frei fließenden Strecke in Polen und der Tschechischen Republik, einschließlich der sogenannten Übergangsformen (03) (teilweise auch die mesophilen Wälder (04)), sind zudem nach der FFH-Richtlinie höchstwahrscheinlich als schutzwürdig einzustufen. Diese Beurteilung ändert sich auch nicht unter Berücksichtigung der vorhandenen Beeinträchtigungen, seien es die Austrocknungseffekte in der Erosionsstrecke oder die nivellierten Wasserspiegel in der gestauten Strecke in Polen. Durch die im Programm Oder 2006 (1999) vorgesehenen umfangreichen Ausbaumaßnahmen, einschließlich Staustufen und Flussbegradigungen, ist diese Wertigkeit hochgradig gefährdet. Deshalb wird empfohlen, daß alle geplanten Eingriffe in den Wasser- und Naturhaushalt durch jedwede flussbaulichen Maßnahmen, nicht nur für Staustufen oder Polder, einer umfassenden Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden. Die Ergebnisse in diesem Atlas können zumindest wertvolle Hinweise auf den Umfang und die Qualität der betroffenen Landschaftsteile liefern.

Noch zwingender erscheint ein wirklich integriertes Gesamtkonzept für eine nachhaltige Entwicklung des Odertales, für das bereits im Vorlauf zu jeder Art von Baumaßnahmen eine Umweltrisikoeinschätzung (Köppel 1999) durchgeführt wird. Das Programm Oder 2006 erfüllt diese Voraussetzungen (noch) nicht.

Die bisher praktizierte Forst- und Landwirtschaft ist maßgeblicher Faktor für die Erhaltung der großen naturnahen Auenflächen und wird deshalb zumindest indirekt erheblich von den Auswirkungen der Flussbaumaßnahmen auf den Naturhaushalt betroffen sein. Nicht zu vernachlässigen ist der bisher relativ geringe Anteil der Rohstoffgewinnung bei der Landnutzung, d.h. Sand- und Kiesgewinnung aus der Flussaue. Wenn mit dem Programm Oder 2006 über verbesserte Schifffahrtsverhältnisse ein Zugang zum Massentransportmittel Schiff uneingeschränkt ermöglicht wird, so ist eine massive Ausweitung der Baggerseeflächen zu erwarten. Die Folge sind meist irreparable Eingriffe in den Landschaftshaushalt mit unkalkulierbaren negativen Auswirkungen auf die Grundwasserressourcen. Der Kiesabbau am Rhein seit 1965 und seit 1990 auch an der Elbe sind dafür mahnende und abschreckende Beispiele.

Zur Sicherung der bestehenden Werte ist zumindest ein weiteres Absinken der Mittel- und Niedrigwasserspiegel zu verhindern, unter Beibehaltung der natürlichen bzw. naturnahen Wasserstandsdynamik. Abholzungen zur Verbesserung der hydraulischen Abflußleistung sollten auch an Einzelpunkten unterbleiben, zumindest sollten zuerst detaillierte Untersuchungen über Alternativen, wie z.B. Umflutrinnen oder lokale Deichrückverlegungen, Grundlage einer ausgewogenen Entscheidung sein.

Für eine sinnvolle und wirksame Umsetzung des europäischen Naturschutznetzes NATURA 2000 erscheint nicht nur die Sicherung, sondern auch die Entwicklung eines funktionsfähigen Biokorridors entlang des gesamten Odertals notwendig. Eine Analyse der Längsverteilung der hier ausgewählten auentypischen Biotope zeigt gerade für den Abschnitt von Ostrava bis nach Brzeg große Defizite nicht nur in Stadtbereichen, sondern auch in den weniger dicht besiedelten offenen Tallagen auf. Dies gilt nicht nur für fehlende Wald- sondern auch für Offenlandbiotoptypen. Ähnlich stellt sich die Situation auch für den Raum von der Mündung der Lausitzer Neiße bis nach Schwedt dar.

Gerade dem ersten, oberstromigen Abschnitt kommt zusätzlich die größte Bedeutung für die Umsetzung eines verbesserten Hochwasserschutzes zu, vor Ort als auch für die Unterlieger. Wenn die Wasserwirtschaft eine Vergrößerung des Rückhalteraumes durch zusätzliche Überflutungsflächen mit der Förderung von auentypischen Standortsverhältnissen verknüpft, könnten hier Wasserwirtschaft und Naturschutz gemeinsam erheblich profitieren. Der derzeit im Bau befindliche Polder Bukow entspricht aber nicht den aus Sicht der Ökologie und des Naturschutzes zu stellenden Anforderungen an naturverträglichen Hochwasserschutz. Vielmehr sollte in den Retentionsflächen, wie an den weiter unterstrom bestehenden Poldern, die naturnahe Ausbildung der Auenbiozönosen erhalten bzw. entwickelt werden und dazu ein möglichst naturnahes Überflutungsregime eingerichtet werden. Da die bestehenden Polder bisher nur extrem selten von Überflutungen erfasst wurden, bieten sich auch hier große, einfach umsetzbare Verbesserungsmöglichkeiten auf gut 4000 ha noch auenähnlichen Waldbiotoptypen an. Für die forstwirtschaftliche Nutzung sind auch dann gute Rahmenbedingungen möglich, wenn standortgerecht unter Berücksichtigung naturschutzfachlicher Zielsetzungen gewirtschaftet wird.

In Teilen der bestehenden und auf fast allen geplanten Polderflächen sind dadurch in der Regel Einschränkungen der landwirtschaftlichen Nutzung unvermeidbar und deshalb Kompensations- oder Ausgleichsmaßnahmen erforderlich. Gerade im deutsch-polnischen Grenzabschnitt wird dies die Umsetzung der geplanten Retentionsraumerweiterungen maßgeblich bestimmen. Diesen Kosten steht aber auch eindeutiger Nutzen in Form von verhinderten Überflutungsschäden gegenüber.

Nicht zuletzt ist bereits jetzt in der Gesamtschau erkennbar, dass mit den auf den transparenten Folien wiedergegebenen (bestehenden wie geplanten) Polderflächen noch lange nicht das Flächenpotential für weitgehend konfliktfreie Retentionsraumerweiterungen ausgeschöpft ist. Wie schon erwähnt, sind alle auennahen Biotoptypen für Überflutungsflächen geeignet bzw. sind zur langfristigen Sicherung auf Überflutung angewiesen. Die über große Strecken ohnehin notwendige Sanierung der Hochwasserdeiche sollte nicht ohne die Prüfung von Möglichkeiten zur Rückverlegung durchgeführt werden. Hervorgehoben werden können in diesem Zusammenhang alle deichnahen Waldbiotoptypen im gesamten Abschnitt von Brzeg Dolny bis zur Mündung der Lausitzer Neiße. Fot. 21: G. Bobrowicz
Oder - Altwasser mit Euphorbia palustris, Nowa Sól

Ein letzter Aspekt betrifft bereits laufende Entwicklungen. Mit dem erfreulicherweise vorliegenden Aktionsprogramm der IKSO zur Verbesserung der Wasserqualität (Dubicki et al., 1999), sind, bei vergleichbar konsequenter Umsetzung wie an der Elbe, in kurzer Zeit wirksame Verbesserungen für die Entfaltung der limnischen Flora und Fauna zu erwarten. Das Vorkommen von Fischen wird quantitativ und qualitativ (Artenvielfalt) gerade an der mittleren Oder deutlich zunehmen. Es ist abzusehen, daß die fehlende oder zumindest unzureichende Durchgängigkeit der vorhandenen Staustufen spätestens dann zu einem ernsthaften Problem wird. Dieses Problem könnte aber in der ältesten Staustufenstrecke oberhalb von Wroclaw relativ leicht behoben werden. Die geringen Stauhöhen, die meist fehlende Wasserkraftnutzung und das noch aktive Durchströmen der alten Flussschleifen bieten dafür noch relativ günstige Rahmenbedingungen. Eine pauschale Förderung der Wasserkraft, wie es in dem brandenburgisch-polnischen Positionspapier (Za³¹cznik, 2000) zum Ausdruck gebracht wurde, birgt dagegen die Gefahr zusätzlicher Probleme. Europaweit werden heute teure Investitionen in Fischpässe oder Umleitungsgerinne getätigt (siehe Lachsprogramm 2000 der IKSR), ihr Erfolg wird aber immer sehr begrenzt sein im Vergleich zu einer Strategie, die mögliche Beeinträchtigungen von Anfang an vermeidet. Durchgängigkeit hat nicht nur für Fische eine Bedeutung. Der überwiegende Teil der limnischen Fauna eines Fließgewässers ist darauf angewiesen, aber auch viele auentypischen Pflanzen (s. Kapitel 1.3).

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